Buenas tardes amigas y amigos de Safisha
mit kleinem Schrecken stellen wir fest, dass zwei ganze Monate ins Land gezogen sind seit wir zuletzt von uns hören ließen. Zwei aufregende Monate in Peru, die in vielerlei Hinsicht anders verliefen als erwartet. Jetzt da wir die peruanisch-bolivianische Grenze vorausichtlich übermorgen via Schiff über den Titikaka-See überqueren werden, scheint uns ein guter Zeitpunkt, über die einen oder anderen Erlebnisse der vergangenen Wochen zu berichten. Der Blick zurück ist nicht ganz einfach, da die letzte Zeit sehr ereignisreich war und es sich anfühlt, als hätten wir nicht ein Land sondern viele verschiedene Perus durchquert. Sicherlich steckt in diesem Eindruck insofern ein Quäntchen Wahrheit, dass Peru sowohl klimatisch als auch von den Menschen her sehr divers ist. Von Ecuador kommend hielten wir uns im peruanischen Norden zunächst auf Seiten der Küste. Der Pazifik ist wunderbar weitläufig, hier und da zwar von Ölbohrinseln gestört, doch ansonsten von Delfinen, Schildkröten, Seelöwen und Surfer*innen bevölkert. Es wird im großen wie kleinen Stil gefischt, die Sonne scheint bei sommerlichen Temperaturen und die Leute lassen es der Hitze entsprechend meist eher tranquillo angehen. Wir zelteten oftmals am Strand, wo wir stets willkommen waren, genoßen das flache weite Land, das sehr im Kontrast zu unseren Andenabenteuern stand und verbrachten schließlich ganze zwei Wochen in einem hübschen kleinen Surfer-Dörfchen namens Lobitos. Es gefiel uns, für den Augenblick mal wieder so etwas wie Sesshaftigkeit zu erleben, die in einem derart kleinen Dorf dem Gefühl nach schnell einsetzt.
Kurz vor Weihnachten, als wir unseren Weg in Richtung Lima schließlich fortsetzten, hatten wir der ganzen Gemülichkeit entsprechend dann auch einen Strandhund dabei, der unsere Radtour seither erheitert. Mit dem gemütlichen Weiterfahren war es dann auch schnell vorbei, da uns der Fahrradanhänger, in dem wir unsere hündische Neuigkeit zu transportieren gedachten vor ungeahnte Schwierigkeiten stellte. Um es kurz zu sagen, wir hatten eine Menge Pannen von einfachen Platten über geplatzte Mäntel bis hin zu zerschredderten Kugellagern war alles vertreten.



Weihnachten verbrachten wir demnach mehr oder weniger freiwillig in einem völlig untouristischen, weil völlig unspektakulären Städtchen namens Piura, wo uns einzig das massive Feuerwerk an Heiligabend und der verbreitete Aperitivo “Leche de Tigre”, eine Art kalte, sehr salzige Fischsuppe, die in Gläsern aufgetischt wird, überraschte. Die Weihnachtsfeiertage zogen dahin und wir entschieden uns den Streckenabschnitt bis Lima mittels Mietwagen zurückzulegen, um Silvester in der Hauptstadt zu feiern. Dank Auto erschlossen sich uns auf unserem fünftägigen Roadtrip auch abgelegenere Strände und Fischerdörfchen und pünktlich zum 31.12 stürzten wir ins Verkehrschaos der peruanischen Hauptstadt, die nicht nur in natürlichem Nebel, sondern auch in Abgasen und Menschenmassen versinkt.
Ins neue Jahr rutschten wir noch in unserer anfänglichen Vierergruppe. Katja und Manu entschieden sich jedoch danach, die weitere Reise ohne Fahrrad fortzusetzen und verkauften ihre Räder in Lima. Am 1. Januar flog dafür Sue aus der Schweiz ein, um während ihrem einmonatigen Urlaub mit uns mitzuradeln.
Neben dem Abschiednehmen und Willkommenheissen galt es in Lima noch einiges an Business zu erledigen. Wie erhofft stellte es in der großen Stadt kein allzu großes Problem dar, einen neuen Hundeanhänger aufzutreiben und diesen beim Mechaniker ums Eck noch zurechtschweißen zu lassen. Anfang 2023 fanden wir uns also neuaufgestellt und motiviert in der Mitte des Landes wieder, bereit, den Süden zu erkunden. Zunächst ging es noch ein paar wenige hundert Kilometer an der Küste entlang, bevor wir ab Paracas gen Osten den Weg ins Landesinnere einschlugen. Das hieß in unserem Fall zweierlei: Wüste und (natürlich) wieder Anden. Innerhalb von hundert Kilometern fuhren wir auf 3700 Meter über dem Meeresspiegel. Das waren drei unvergessliche Tage puren Bergauffahrens in menschenleerer Wüstenlandschaft mit wunderschönen Camping-Spots am Abend, glühenden Sonnenuntergängen und einem Gefühl die einzigen Menschen auf diesem Planeten zu sein.




Auf der Höhe angekommen, schlug das Klima schlagartig um und wir fanden uns mitten in der peruanischen Regenzeit wieder. Horrende Temperaturschwankungen, Lama-Herden, grünende Ackerlandschaften und plötzliche, heftige Gewitter waren die Folge. Zu unserer Überraschung fanden wir auf 4000 MüM Flamingos, Möwen und eine Menge Meerschweinchen. Letztere aber eher im Stall als in freier Wildbahn, da sie gern gekocht, gegrillt oder frittiert werden, um als Cuy Frito oder Caldo de Cuy auf der Speisekarte zu landen. Das Leben in den Anden ist sicherlich kein Zuckerschlecken. Die Menschen arbeiten hart, bestellen ihre Felder bei Wind und Wetter und leben mit der ganzen Familie in unbeheizten kleinen Hütten oder Häuschen. Man schläft in dicken Pyjamas unter mehrern Wolldecken. Traditionell tragen die Frauen bunte Wollröcke und elegante Filzhüte, während die Männer in recht langweiligen Polyesterjacken herumstiefeln. Häufig wurden wir von Vertreter*innen der zahnlosen, älteren Generation auf Quechua angesprochen, woraufhin unser entschuldigendes Schulterzucken mit großer Heiterkeit aufgenommen wurde.



Tatsächlich kamen wir in letzter Zeit, um die bekannte Inka-Stadt Cusco herum mit sehr vielen Einheimischen in Kontakt. Dies geschah hauptsächlich an den unzähligen Straßenblockaden, die von der indigenen Bevölkerung im kompletten Süden des Ladens teilweise im Zwei-Kilometer-Takt errichtet wurden. Seit der Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten, Anfang Dezember 2022, befinden sich Peru politisch in Unruhe. Durch brutales Vorgehen der Sicherheitskräfte gegenüber indigenen Demonstrant*innen, das inzwischen fast 60 Menschenleben forderte, wurden die Fronten derart verhärtet, dass die Leute in den Anden einen “Paro indefinido”, einen unbegrenzten Streik, ausgerufen haben. Nicht nur der Tourismussektor liegt brach dieser Tage, auch sind viele Hauptstraßen und Exportrouten sowie Flughäfen blockiert. Die Gewerkschaften und große Bürger*innen-Verbände haben vermehrt dazu aufgerufen, den Protest nach Lima, ins politische Zentrum Perus zu tragen. Viele sind den Aufrufen gefolgt. Die Hauptforderungen der Menschen sind der Rücktritt der regierenden, ehemaligen Vize-Präsidentin, die für die Gewalt verantwortlich gemacht wird und inzwischen weder Rückhalt in ihrer eigenen Partei noch in Bevölkerung hat, und die Auflösung des als weitesgehend korrupt geltenden Kongresses, um möglichst bald Neuwahlen abzuhalten. So dramatisch die Lage oftmals in den Nachrichtensendungen im TV wirkt, so besonnen haben wir die Demonstrant*innen an den Straßenblockaden jedoch erlebt. Trotz der horrenden Wut auf die politischen Zustände hier im Land, waren die Leute stets seht differenziert. Als Touristen und Gringos wurden wir mit unseren Rädern immer problemlos durchgewunken, da es Konsens war, dass wir nichts mit den Zuständen zu tun haben. Vielmals war den Leuten sogar daran gelegen, uns ihre Lage zu erklären und dass zu wenig von den Millionen aus dem Andentourismus rund um Macchu Picchu und den Gewinnen, die die Minengesellschaften in der Region einfahren, bei den Menschen vor Ort ankomme. Ein Bild, das sich uns leider durchaus erschließt, liest man einmal die Umsätze nach, die in Cusco aus dem Welttourismus erwachsen, während ein paar Kilometer weiter Wellblechdächer lecken, Straßen halbherzig zusammengeflickt sind und viele Kinder nach wie vor tagsüber auf dem Feld oder beim Hüten der Tiere sein müssen, anstatt eine Schule zu besuchen. Wir sind tiefer in diesen Konflikt hineingeraten als uns lieb war, doch gilt unsere Solidarität den Menschen, die ihr Recht auf eine faire Beteiligung an den Gewinnen, die aus den Kulturschätzen Perus geschöpft werden, in der Verfassung verankern wollen. Wir hoffen, dass es Akteur*innen innerhalb der politischen Elite in Lima gibt, die daran interessiert sind, diesen Konflikt friedlich beizulegen und den Menschen, die lediglich ihre demokratischen Grundrechte einfordern, entgegenkommen.





So verlassen wir Peru mit gemischten Gefühlen, während es vor unserem Fenster in Juliaca wieder einmal in Strömen regnet und unsere Wäsche ganz sicher bis morgen nicht trocken sein wird. Doch gemütlich haben wir es bei unserem netten Gastgeber Giovanni, der seit 10 Jahren Fahrradreisenden auf ihrem Weg von Nord nach Süd oder andersherum kostenfreie Unterkunft und die Mitbenutzung seiner wunderbaren Küvhe gewährt. Ein richtiger Herd mit vier Flammen ist für uns natürlich immer noch ein Highlight dieser Tage, weshalb wir es uns nicht nehmen lassen, heute Abend eine ausgiebige Koch-Session einzulegen. Wenn alles nach Plan läuft, tuckern wir schon Montagmorgen auf einem Schiff den Titikaka-See gen Südosten und überqueren irgendwo die unscheinbare Seegrenze nach Bolivien. Dem Hund wird’s gefallen.